Der 9. April 2017 war im Rahmen der Arbeit der Erinnerungskultur in unserer Kirchengemeinde ein bedeutsamer Tag. In einer kleinen Feierstunde wurde die neue Schautafel am Fliegergrab in Stemmen eingeweiht.
Mit Unterstützung der FSJlerin Kira Georg ist die Schautafel im Praktikum unserer Konfirmanden entstanden. Das Layout hat Rolf Thoenelt übernommen.
Andacht am Fliegergrab von Heinz Schrader am 9. April 2017
Liebe Anwesende der besonderen Feierstunde anlässlich des Todes von Heinz Schrader,
Geschichte verlangt von uns einen verantwortlichen Umgang. Die Betrachtung hängt immer zu einem Teil von der Überzeugung desjenigen ab, der seinen Blick auf die Ereignisse der Vergangenheit lenkt.
Am Beispiel des getöteten Wehrmachtsoldaten Heinz Schrader ist das nicht anders. Dietrich Alsdorf ist sich in seinem Buch Rammjäger: Auf den Spuren des „Elbe-Kommandos“ 100 prozentig sicher, dass das Sterbedatum der 7. April 1945 sein muss. Denn Rammpiloten können seiner Meinung nach nur an diesen Tag gestorben sein.
Dr. Peter Clasen jedoch kommt in seiner Bearbeitung des Themas im Heimatkalender 1987 zu dem Ergebnis, dass die Augenzeugen, beim Absturztag der beiden Flugzeuge vom 10. April 1945 gesprochen haben. Und dass er, Dr. Clasen, mit einem der Überblenden gesprochen hat. Dieser berichtete, dass es drei Tage später einen erneuten, allerdings wesentlich kleineren Luftkampf gegeben hat. In diesem Luftkampf am 10. April muss Heinz Schrader dann getötet worden sein.
Heinz Schrader kann nur einmal gestorben sein.
In der Verpflichtung gegenüber dem Chaos der letzten Kriegstage im April 1945 haben wir es als sinnvoll angesehen, auf diese Unklarheit auf der neuen Schautafel hinzuweisen.
Geschichte ist nicht starr, wie Mathematik oder Physik, sondern beweglich, je nachdem von wo ich auf sie schaue. Wie der Blick auf diese Absturzstelle. Wenn ich von hier gucke, sehe ich die Bank am Fliegergrab. Wenn ich ein paar Schritte weitergehe und von hier gucke, sehe ich den Erinnerungsstein und den Rhododendron.
So ist das auch mit dem Blick auf Heinz Schrader und seine Motivation sich freiwillig diesem Himmelfahrtskommando des Rammjägereinsatzes am 7. April 1945 anzuschließen.
In dem Buch von Dietrich Alsdorf ist es, die bei einem Bombenangriff auf München getötete Verlobte. Schraders Motivation scheint ein Teil des Schulungslehrgangs Elbe zu sein.
In Gesprächen mit dem Sohn, Horst Otto Schrader *1936, die wir in diesem Winter zur Vorbereitung der neuen Schautafel geführt haben, stellte sich die Frage, welche Rolle wohl die Verantwortung als Familienvater, für den 1944 geschiedenen Wehrmachtssoldaten spielte?
Details der pikanten Situation des persönlichen Lebens Schraders erfährt der Leser der neuen Schautafel nicht. Und doch ist es Aufgabe der Betrachtung, in diesem Blick auf die Ereignisse der Vergangenheit möglichst keine Geschichtsklitterung zu betreiben. Sondern die Konflikte, in denen Menschen damals standen mit zu berücksichtigen. Um zu verstehen, was die betreffende Einzelperson, den Menschen aus Fleisch und Blut, um den es hier geht. Was ihn veranlasste, dass zu tun, woran wir uns heute noch, 72 Jahre danach, erinnern. Nämlich freiwillig an einem Luftkampf teilzunehmen, der den Lauf des Krieges nicht mehr beeinflussen konnte. Der ihm allerdings den Tod brachte. In diesem Zusammenhang ist es völlig egal, ob das am 7. oder 10. April 1945 war.
Ich persönlich bin von der Überzeugung geleitet, dass Gott uns Menschen die Fähigkeit gegeben hat, Erinnerung zu betreiben, auch an die dunkle Seite der Vergangenheit, um in der Welt heute bereit zu sein, zu einem friedlichen Miteinander in einer sich immer stärker polarisierenden, und die Unterschiede von Religion und Nationalität problematisierenden Welt. Auf die Vergangenheit zu gucken macht nur dann Sinn, wenn in dem Blick auf die Vergangenheit auch die Gegenwart präsent ist. Amen
Pastor Wilhelm Timme